Berufsbildungsforum 2017

Mit einem guten Vorbild durch die Lehre helfen

Heranwachsende ticken anders, weil ihr Gehirn anders funktioniert – dies erklärte Neuropsychologe Lutz Jäncke zur Erleichterung vieler Lehrmeister am 10. Thurgauer Berufsbildungsforum.

CHRISTOF LAMPART

Jugendliche (in einer betrieblichen Ausbildung) sind sehr vielen Einflüssen ausgesetzt. Und im heutigen digitalen Zeitalter sowieso. Kein Wunder also, dass sich viele Lehrer, Eltern und Lehrmeister Sorgen machen, wenn der Teenager wieder einmal zu spät zur Arbeit kommt, die Hausaufgaben nicht gemacht hat oder in gewissen Situationen völlig anders regiert als dies ein rational denkender Erwachsene täte. Doch laut Lutz Jäncke, Ordinarius für Neuropsychologie an der Universität Zürich, ist dies «total normal». Dies betonte er am Freitagnachmittag wiederholt vor rund 280 Personen im Weinfelder «Thurgauerhof» am diesjährigen Thurgauer Berufsbildungsforum, das vom Kanton Thurgau, dem Thurgauer Gewerbeverband und der Industrie- und Handelskammer Thurgau gemeinsam organisiert worden war.

Erwachsene müssen Vorbilder sein
In der Pubertät, so Jäncke, sei ein Teil des Gehirns, der Frontalkortex, welcher beim Erwachsenen die «Kontrolle» über sein Handeln regelt, noch weitgehend unreif. Während ein 20jähriger Erwachsener durchaus auf etwas Attraktives verzichten könne, um es später zu geniessen, seien Jugendliche biologisch einfach noch nicht so weit. Weshalb diese auch viel anfälliger für Ablenkungen und Süchte jeglicher Art seien. Sie handelten so nun einmal, wie sie handelten «und können doch nichts dafür», erklärte Jäncke. Da dies von der Natur so eingerichtet sei, sei die Kontrolle durch die Eltern, Lehrer und Lehrmeister in der Zeit des Heranwachsens umso wichtiger. «Sie müssen den Jungen helfen, indem Sie als Korrektiv wirken. Allerdings nicht durch Verbote und Bestrafungen, sondern indem Sie gute Vorbilder sind. Das vorgelebte kulturelle Umfeld prägt sich nämlich beim jungen Menschen am meisten ein» empfahl Jäncke.

Kommen die Aufnahmeprüfungen zu früh?
Gerade, weil er wisse, wie wenig leistungsfähig Zwölfjährige seien, verstehe er es nicht, dass man die Aufnahmeprüfungen fürs Gymnasium im Kanton Zürich gerade dann durchführe, wenn das Gehirn des Menschen für Prüfungen am wenigsten gemacht sei. Er empfehle, diese einige Jahre später zu machen als heute. Zwar sei dann der Frontalkortex auch noch nicht ausgereift, aber ganz sicherlich weiterentwickelt, was bei einem so wichtigen Zukunftsentscheid für das Kind doch ganz wesentlich sei, so Jäncke. Dass Mädchen in diesem Alter beim Lernen oft besser abschnitten als Jungen sei darauf zurückzuführen, dass deren Frontalkortex rund ein Jahr weiterentwickelt sei – und sie sich deshalb im Unterricht besser konzentrieren könnten.

Ein besseres Bewusstsein für die Ausbildner gefordert
In der anschliessenden Podiumsdiskussion (Moderation: Philipp Gemperle), bekannte Martin Preisig, der 2014 seine Lehre abschloss, dass er froh sei, nun zu wissen, dass er für seine Lernfaulheit nichts könne. Er habe allerdings immer darauf geachtet, «dass ich eine Viereinhalb im Zeugnis habe; das reichte zum Durchkommen und war genug, dass Mutter nicht reklamierte». Lehrlingscoach Thomas Sutter erklärte, dass es bei der Ausbildung von Lernenden ganz wichtig sei, dass «nicht nur die Lehrmeister hinter den Lehrlingen stehen, sondern dass auch die Betriebe den Lehrmeistern Rückendeckung geben, falls es mal nicht so läuft, wie es laufen sollte». Barbara Gallo von der Lehraufsicht des Kantons Thurgau wünschte sich Ähnliches, nämlich, dass «die Geschäfte ein Bewusstsein für die Berufsbildner haben, so dass diese mit Freude ihrer Tätigkeit nachgehen.»

Sie diskutierten darüber, wie man die Jugendliche so motiviert, dass sie in der Lehrzeit "dranbleiben", v.l.n.r.: Lutz Jäncke, Barbara Gallo, Philipp Gemperle, Thomas Sutter und Martin Preisig.